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Auf dem Weg zum selbstfahrenden Auto

Die Revolution fand in der vergangenen Woche statt. Wer hat es gemerkt? Niemand. Oder hat es sich etwa herumgesprochen, dass am Mittwoch, 23. März 2016, in den 73 Vertragsstaaten des sogenannten Wiener Übereinkommens, das den Straßenverkehr durch Standardisierung der Verkehrsregeln global sicherer machen soll, eine neue Bestimmung in Kraft getreten ist?

Sie war am 23. September 2014 verabschiedet worden und wurde den Regularien dieses Vertragswerks gemäß 18 Monate später wirksam. Das geschieht immer dann automatisch, wenn kein Mitgliedsstaat Widerspruch einlegt. Die Rede ist von einem der ersten, nichtsdestotrotz entscheidenden Schritte auf dem Weg zur Zulassung automatisch fahrender Autos für alle auf öffentlichen Straßen.

Artikel acht, Absatz fünf des Wiener Abkommens vom November 1968 sagt unter anderem: „Jedes Fahrzeug und miteinander verbundene Fahrzeuge müssen, wenn sie in Bewegung sind, einen Führer haben.“ Weiter heißt es: „Jeder Führer muss dauernd sein Fahrzeug beherrschen oder seine Tiere führen können.“ Schließlich bestimmt Artikel 13 im ersten Satz, Absatz eins unmissverständlich: „Jeder Fahrzeugführer muss unter allen Umständen sein Fahrzeug beherrschen, um den Sorgfaltspflichten genügen zu können und um ständig in der Lage zu sein, alle ihm obliegenden Fahrbewegungen auszuführen.“ Diese Bestimmungen waren bisher entscheidende Hindernisse für die Zulassung selbstständig fahrender Autos.

Seit der vergangenen Woche jedoch hat sich einiges geändert. Zwar bleiben beide Artikel unangetastet, doch Nummer acht erhält einen wichtigen Zusatz, vorerst nur in englischer Sprache. Da heißt es – frei übersetzt und ebenso frei interpretiert –, dass technische Eirichtungen stellvertretend menschliche Aufgaben übernehmen können und somit die dauernde Aufsicht des Fahrzeugs durch den Fahrer oder die Fahrerin nicht mehr zwingend erforderlich ist.

Ist jetzt etwa die Bahn für das autonome Auto frei? Keineswegs, schließlich haben wir es mit Juristen zu tun, und dann wird es eben kompliziert. Zunächst nämlich müssen parallel die sogenannten UN/ECE-Regelungen angepasst werden, was noch nicht geschehen ist. Unter diesem Paragraphenwerk ist ein Katalog von einheitlichen Vorschriften für technische Einrichtungen bei Kraftfahrzeugen zu verstehen, den die Wirtschaftskommission für Europa mit den Vereinten Nationen vereinbart hat.

Darin ist noch nicht festgelegt, welche Bedingungen ein System erfüllen muss, das den Fahrer so weit entlastet, dass er sich während der Fahrt entspannt zurücklehnen und mit anderen Dingen beschäftigen kann. Zur Zeit ist beispielsweise vorgeschrieben, dass sich seine Hände stets in Reichweite zum Lenkrad befinden müssen. Deshalb schaltet sich zum Beispiel der Lenk-Pilot in der neuen E-Klasse von Mercedes ab, wenn der Fahrer nicht regelmäßig das Steuer berührt. Erst wenn die UN/ECE-Regelung 79, in der es um die „Lenkanlage von Fahrzeugen“ geht, eine „automatische Lenkfunktion“ zulassen, ist der nächste wichtige Schritt vollbracht. Immerhin arbeitet eine Kommission unter deutsch/japanischem Vorsitz zur Zeit an einer juristisch einwandfreien Formulierung.

Wie es weiter gehen soll, ließ Verkehrsminister Alexander Dobrindt in einer Broschüre namens „Strategie automatisiertes und vernetztes Fahren“ bereits im Herbst vergangenen Jahres wissen (https://www.bmvi.de). Darin heißt es: „Mit der Digitalisierung stehen wir vor einer historischen Mobilitätsrevolution: dem automatisierten und vernetzten Fahren. Damit bekommt Mobilität eine völlig neue Dimension.“ Dobrindt persönlich erwartet „von diesen Systemen neben einem Zugewinn an Komfort auch einen Beitrag zur Erhöhung der Verkehrssicherheit“.

Für automatisierte Fahrzeuge will er zukünftig eine Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h vorschreiben sowie – ähnlich wie in der kommerziellen Luftfahrt – eine Blackbox als Unfalldatenspeicher einführen. Doch vorerst müssen noch eine ganze Reihe von Fragen geklärt werden: Wie steht es um den Datenschutz? Wer trägt die Schuld, wenn das Auto vollautomatisiert zu dicht auffährt oder zu schnell unterwegs ist? Und einiges mehr. Außerdem steht der vollständigen Erlaubnis für die Zulassung autonomer Fahrzeuge zu allem Überfluss auch noch der Artikel Eins des Wiener Übereinkommens im Weg.

Darin heißt es wörtlich: „Führer ist jede Person, die ein Kraftfahrzeug oder ein anderes Fahrzeug (Fahrräder eingeschlossen) lenkt oder die auf einer Straße Vieh, einzeln oder in Herden, oder Zug-, Saum- oder Reittiere leitet.“ Einem Vorschlag von Belgien und Schweden zufolge soll neben den „Führer“ auch ein „Fahrzeugsystem, das die vollständige Kontrolle über das Fahrzeug vom Losfahren bis zur Ankunft“ hat, treten dürfen. Der Artikel acht für autonome Fahrzeuge soll gestrichen werden.

Der Politik stehen für die Genehmigung des autonomen Autos für den Markt also noch Lösungen für eine ganze Menge juristischer Probleme bevor. Minister Dobrindt formulierte in seiner Broschüre vollmundig: „In Deutschland wurde das Auto erfunden. Wir haben es immer wieder revolutioniert. Und wir stehen bis heute weltweit an der Spitze bei Innovationen im Automobilbereich.“ Dabei hat er offensichtlich übersehen, dass die USA, die sich beim Wiener Abkommen der Stimme enthalten und es nie verabschiedet haben, erheblich weiter sind. Dort meinte die Sicherheitsbehörde National Highway Traffic Safety Administration (NHTSA) vor wenigen Wochen: „Wenn kein menschlicher Insasse ein Fahrzeug fahren kann, ist es sinnvoller, als Fahrer das anzuerkennen, was auch immer es fährt.“ Eine Verbeugung vor dem Internet-Riesen Google, dessen autonomes Auto alles allein macht – Lenkrad und Pedale fehlen.

Dennoch, wenn auch etwas verspätet, tut sich auch in Europa – nicht nur technisch, sondern auch juristisch – im Zusammenhang mit dem automatisierten Fahren viel. So wie einst der Motor das Pferd verdrängte, wird demnächst der Computer den Menschen an Lenkrad, Gas- und Bremspedal ersetzen können – zumindest immer dann, wenn der Mensch das möchte. Bis dahin ist es nur ein kleiner Schritt für Ingenieure und Technik, aber ein gewaltiger Sprung für die Mobilität von uns allen. ampnet/hrr


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